Altes Rathaus, 31.01.2010. Als Meilensteine der Streichquartett-Literatur hatte das Faust Quartett sein Programm angekündigt. Franz Schuberts Quartettsatz c-moll, sein riesiges G-Dur-Quartett und Leos Janaceks „Intime Briefe“: wahrhaft kein Programm, sich entspannt zurückzulehnen. Zuhörern wie Ausübenden wurde ein letztes an Konzentration abverlangt. Selten sind Zuhörer so nah am Geschehen wie bei den Konzerten im Alten Rathaus, können hautnah die Intensität des Musizierens spüren.
In jeder Phase des Spiels knisterte die Spannung, konnte man das Zusammenspiel der musikalischen Kräfte verfolgen. Während Primarius Wojciech Garbowski fast unmerklich seine Impulse setzte, kommunizierten Cordula Frick (Violine) und Ada Meinich (Viola) intensiv miteinander, setzten wunderschöne Impulse in den Mittelstimmen. Als ruhiger Gegenpol wirkte Birgit Böhme (Violoncello), kurze Blickkontakte genügten zur Verständigung.
Dass das 1996 in Weimar gegründete Faust Quartett durch eine renommierte Schule (Ausbildung u.a. beim Alban Berg- sowie Hagen-Quartett) gegangen ist, hörte man in jeder Phrase ihres Spiels. In Franz Schuberts Quartettsatz c-moll, D 703 wurde die Spannung zwischen Emotionen und Leidenschaft, zwischen Rastlosigkeit und melodischer Liedhaftigkeit in eindrucksvolle Beziehung gesetzt. Dramatisch, nervös-unruhiger Beginn, gefolgt vom ewig schönem Seitenthema, für das man sich ganz viel Zeit nahm, die Melodienseligkeit regelrecht genoss.
Wie viele seiner Berufskollegen versteckte Leos Janacek in seinen Kompositionen Dinge, die nicht nur das musikalische Ohr suchen. Sein letztes Streichquartett, betitelt „Intime Briefe“, trägt autobiographische Züge, in dem der 74-Jährige seinen glühenden Liebesgefühlen für eine 37 Jahre jüngere Frau Ausdruck verleiht. Die Liebe blieb unerfüllt. Was Worte nicht ausdrücken können, kompromisslos tobt sich Janacek regelrecht in der Musik aus. In technischer Hinsicht ist das Werk extrem schwierig zu spielen, der letzte Satz wurde sogar lange Zeit als unspielbar abgelehnt. Leidenschaftlich intensiv und fantastisch ausdrucksstark interpretierte das Faust Quartett diese musikalischen „Liebesbriefe“, kernig im Ton spielten die vier Streicher die rezitativischen Passagen und zeigten am Schluss, wie keck und neckisch das Werk auch klingen kann. Da zuckte es den Musikern in den Beinen, der Hüpf-Rhythmus der Tanzmelodie wurde glutvoll mitgestampft. Insgesamt fesselte die Passion, mit der dieses bedeutende Spätwerks Janaceks gespielt wurde.
Zum Schluss das G-Dur-Quartett op.161, Franz Schuberts spätem Streichquartett-Abgesang. Zu Lebzeiten des Komponisten nie aufgeführt oder veröffentlicht. Wild, verwegen, zerrissen: die ungeheuren Aus- und Einbrüche im musikalischen Geschehen, die Länge (ca. 50 Minuten!), all das verlangt hellstes Wachsein und Aufmerksamkeit zum Ausphrasieren der riesigen Flächen, die sich hier öffnen. Emotionsgeladen wusste das Quartett im ersten Satz orchestral-voluminöses Klanglichkeit aufzubauen, setzte dem auch ruhige Momente entgegen. Die ausgewogene dramatische Linienführung überzeugte. Wunderschön die Cello-Kantilene im Andante, der spannungsgeladene Übergang zu den düsteren, aufpeitschenden Tremolos. Wie schwungvoll, burschikos kam das Scherzo, mit welcher Energie wurde der Schlusssatz gespiel!
Starker Beifall für den musikalischen Hochgenuss, den das Faust Quartett bereitet hatte. Eine Zugabe blieb aus. Was hätte denn auch nach diesen Schwergewichten der Literatur noch folgen sollen?
(Quelle: Westfälische Nachrichten, Erhard Hundorf, 2.02.2010)