Altes Rathaus, 02.03.2008. Heinrich Böll und Zigeunerjazz?
Was auf den ersten Blick nicht zusammenpassen mag, erwies sich am Sonntagabend im Alten Rathaus als durchaus fruchtbare Mischung. Gekonnt verquickte das Duo Almut Grytzmann und Gregor Pronobis in einer Konzertlesung auf Einladung der Volkshochschule Ahaus und der katholischen Kirchengemeinde St. Brictius beides miteinander.
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Grytzmann las aus Erzählungen, Satiren und Briefen von Böll, während Jazzpianist Pronobis klassische Zigeunerweisen neu interpretierte. Im Gespräch verwies Grytzmann auf das besondere Engagement von Böll und den Grund für die Verbindung beider Elemente: „Böll hat sich für Sinti und Roma eingesetzt.“ Zum 90. Geburtstag des berühmten Schriftstellers haben sie beide das Programm konzipiert.
Diese Thematik kommt in den ausgewählten Texten weniger zur Sprache, dafür die Spiegelung der Kriegs- und Nachkriegszeit, für die Böll auch bekannt ist. Die Geschichte seiner Tante Mela, deren Weihnachtsbaum jedes Jahr immer gleich sein musste, rührte das Publikum zu Lachtränen. Dieselbe Tante hätte sonst einen Schreikrampf bekommen, wenn sie nicht jeden Tag des Jahres denselben Baum mit demselben Behang und dem festgelegten Feier-Ritus im Kreis der Familie erleben durfte. Das ging über zwei Jahre so tagaus tagein, während die Familie durch den Weihnachtswahn in entgegengesetzte psychische Abgründe geriet.
Anmerkungen Bölls an die Politiker gaben das Spiegelbild des politisch eher links denkenden Literaten wieder. Danach sollte sich jeder Abgeordnete jeden Tag aufs Neue den Passus im Grundgesetz anschauen und danach handeln, in dem von der „unantastbaren Würde des Menschen“ die Rede ist. „Und zwar jedes Menschen ohne Ansehen des Geschlechts oder der Herkunft“, ein Zitat aus Bölls fiktiver Rede vor dem Bundestag, die Grytzmann mit fordernder Stimme vortrug.
Ein Statement für die Rückkehr nach Köln, der Geburtsstadt von Böll, nach der Kriegsgefangenschaft des Autors ist auch gleichzeitig wieder politisch gemeint: „In keiner Stadt Deutschlands hat sich Hitler so unwohl gefühlt wie in Köln.“
Pronobis entführte die begeisterten Zuhörer aus der Welt des Wortes in die Welt der Klänge. Die bekannte russische Volksweise „Die schwarzen Augen“ spielte er immer wieder mit Wiedererkennungswert, durchmischt mit eigenen Improvisationen. Auch der „Csardas“ von Vittorio Monti, Georges Bizets „Carmen“ und Johannes Brahms „Hungarian Dances“ gerieten zu einem fesselnden Feuerwerk aus Klassik, Jazz und dem Temperament der Zigeunermusik. Beide ernteten viel Applaus für ein ungewöhnliches Programm.
Elvira Meisel-Kemper
WN 03.03.08