Altes Rathaus, 21.02.2016. Dass sich mit Musik manches sagen lässt, das in Worte schwer bis gar nicht zu fassen ist, ist eine Binsenweisheit. In Thomas Manns Jahrhundertroman „Buddenbrooks" ist es der Organist Pfühl, der seinem Klavierschüler Hanno Buddenbrook zur eigenen Sprache verhelfen will. "Später einmal im Leben, das vielleicht seinen Mund immer fester verschließen wird, muss er eine Möglichkeit haben, zu reden", erklärt er Hannos besorgter Mutter Gerda, als die ihn fragt, ob er dem Jungen nicht zu viel beibringe. Für den sensiblen Hanno, der in der Schule und unter dern strengen Blick seines erfolgreichen Vaters Thomas konsequent versagt, eröffnet sich mit der Musik "das klingende Reich eines milden, süßen und trostreichen Ernstes“. Was das bedeutet, erfuhren die Zuhörer beim Literaturkonzert im Alten Rathaus mit Sybille Bertsch und Cosrnin Boeru.
Bach, Liszt, Wagner, Brahms und sogar ein Stück von Friedrich Nietzsche begleiteten die Lesung aus Manns erstem großen und zugleich erfolgreichsten Roman über den Verfall der Kaufmannsfamilie Buddenbrooks.
„Sehr schön und sorgfältig ausgewählt“, fand Dr. Nikolaus Schneider die Titel, die Boeru in Bertschs Lesepausen einstreute - nicht nur, weil sie etwa im Text vorkamen, wie Bachs Orgelfantasie in g-moll. Auch spiegelt sich in der Musik jener Zeit der aufbrechende Konflikt am Ende einer Epoche: "Das, was die Gesellschaft getragen hat, trägt nicht mehr“, erklärte der Ahauser VHS-Direktor. Die VHS hatte den Abend gemeinsam mit dem Freundeskreis Schöppinger Konzerte und der Katholischen Kirchengemeinde St. Brictius veranstaltet - im Rahmen der Reihe "Weltliteratur: Zehn Liebeserklärungen".
Das Ziel der Reihe: "Lust erwecken, das eigene Lesen großartiger Literatur wieder in Gang zu setzen". Die Musik als Medium dazu: Das ist ein stimmiges Konzept, sollte man meinen. Noch dazu, wenn beide Vorträge - der am Klavier wie auch die Rezitation - mit so viel erkennbarer Freude und Liebe zum Detail gelingt. Die Resonanz war indes mäßig. Kaum zur Hälfte besetzt blieben die Besucherstühle. Womöglich hat Dr. Schneider recht: „Der Konflikt Thomas-Hanno ist heute noch aktuell“, hatte er eingangs erklärt. Auch heute gelte über allem die Anforderung: „Sei erfolgreich. Mach' Karriere." Bis in die Freizeit hinein regiere der Druck. „Der Hang zur Melancholie wird auch heute gerne weggedrückt", sagte Schneider. "Vielleicht sind auch darum heute viele Menschen unglücklich."
Doch Glück ist weder den Buddenbrooks noch dem jungen Hanno am Ende beschieden. Die Dynastie ist dem Untergang geweiht. Und Hanno wird todkrank. Er stirbt, "weil er die Stimme des Lebens, die zu ihm dringt, nicht hört".
Sybille Bertsch
Cosmin Boeru, Klavier
(Quelle: Westfälische Nachrichten, Christiane Nitsche, 23.02.2016 )