Altes Rathaus, 20.11.2011. Langes Warten steigere mitunter die Vorfreude, meinte VHS-Direktor Dr. Nikolaus Schneider zur Begrüßung beim letzten Konzertabend des Jahres im Alten Rathaus Schöppingen. Im Fall von Alexander Krichel, der das ursprünglich geplante Konzert vor etwa einem Jahr hatte absagen müssen, sei das definitiv der Fall. Um so mehr, als der junge Ausnahmepianist in der Zwischenzeit auf großer Venezuela-Tournee war und pünktlich zum Liszt-Jahr seine erste Studio-CD mit Werken von Franz Liszt aufgenommen hat. „Alexander Krichel scheut sich überhaupt nicht, an große Werke heranzugehen“, stellte Schneider verheißungsvoll fest.
Derart mit Vorschusslorbeeren ausgestattet, musste es enttäuschen, dass der 22-Jährige nur etwa 25 Zuhörer fand an diesem Abend. Diese aber erhielten eine Kostprobe dessen, was sich anschickt, ein wirklich großer Musiker zu werden.
Ganz unbescheiden begann Krichel mit der Sonate „Appassionata“ von Beethoven, der er besonders am Ende des dritten Satzes mit rasant gesteigerten Sechzehntel-Läufen bis hin zu den fulminanten Schlussakkorden eine persönliche Note verpasste.
Es mag symptomatisch sein, dass Krichels Spiel immer dort, wo extrem hohe Aufmerksamkeit, Fokussierung und Akzentuierung gefordert waren, seine hervorragenden technischen Qualitäten offenbarte. Nicht nur musikalisch hoch begabt, sondern auch als Student der Förderklasse der William-Stern-Gesellschaft an der Mathematischen Universität für Hochbegabte mit besonderen Gaben ausgestattet, muss die Latte naturgemäß hoch liegen, damit ein Geist und Intellekt wie der des Hamburger Ausnahmetalents genügend gefordert ist.
Man mag es kaum zusammenbringen - rein optisch ist Krichel kaum den Kinderschuhen entwachsen. Eher klein und von zarter Statur, wirkt er auf den ersten Blick wie einer, der die leisen Töne liebt. Erleben konnte man am Sonntag stattdessen einen klugen, aufmerksamen und zuweilen erstaunlich reif wirkenden Interpreten all dessen, was sich am Klavier ausdrücken lässt - vom leidenschaftlichen Intellekt Beethovens über den schönen Schmerz bei Liszt bis zum rhythmischen Feuerwerk des Argentiniers Alberto Ginastera.
Vladimir Krainev sei sein Vorbild, bekannte Krichel nach dem Konzert auf Anfrage. Der russische Pianist war seit 2007 sein Professor und väterlicher Freund, bis er im April verstarb. Er wäre sicher stolz auf diesen Schüler.
Quelle: Westfälische Nachrichten, CHRISTIANE NITSCHE, 22.11.2011