Altes Rathaus, 18.08.2012. „Poema“ lautete der Titel des Konzertabends am Samstagabend im Alten Rathaus. Passenderweise – denn was Kimiko Imani (Klavier) und Ivan Podyomov (Oboe) hören ließen, war ein Gedicht nach Noten.  Das Schöne an Kammerkonzerten in derart kleiner Besetzung: Die musikalischen Strukturen sind für den Hörer leicht zu durchdringen. Man kann sich gut darauf konzentrieren, wie sich musikalische Gedanken entwickeln und wie sie vom begleitenden Instrument in eine harmonische Fassung gebracht werden. Die Kombination Oboe und Klavier – Doppelrohrblatt- und Saiteninstrument – begünstigt eine derartige Wahrnehmung allein schon von der Tonerzeugung her.



Was für den Rezipienten also wunderbar ist, bedeutet für die Interpreten höchste Ansprüche. Jeder Fehler trübt ungefiltert das Gesamtergebnis. Das Konzert am Samstag blieb bis auf ein, zwei ganz leichte Quietscher der Oboe ungetrübt. Die beiden Musiker hinterließen einen großartigen Eindruck.

Das Programm umfaste Kompositionen aus dem 19. und 20. Jahrhundert. Die beiden Fantasien des Dänen Carls Nielsen bildeten den leichten Auftrakt. Wobei die Humoreske einen ersten kleinen Höhepunkt setzte. Zumal es schien, dass die Komponisten in einigen der folgenden Stücke mit einem gewissen Augenzwinkern zu Werke gegangen waren. Im dritten Satz von Saint-Saëns‘ Sonate op. 166 zum Beispiel waren musikalische Turbulenzen angesagt. Die Klappen der Oboe leisteten als drittes (Perkussions-)Instrument ihren Beitrag zum Gesamteindruck.

In starkem Kontrast dazu stand die „Poèma“ der Russin Marina Dranishnikova. Dräuende Takte auf dem Klavier bilden die Einleitung zu einem Werk, das zeitweise lyrisch-impressionistische Züge trägt, dann aber in große Gefühlstiefen abtaucht. Ein mächtiges, ausdrucksstarkes Werk, das Imani und Podyomov leidenschaftlich darboten. Und das, obwohl die hochsommerlichen Temperaturen eigentlich jedweder Art schweißtreibender Tätigkeiten nicht gerade zuträglich waren . . .

Bei aller Tiefe blieb doch der Charakter der meisten Kompositionen – dem Titel der Konzertreihe „Summerwinds“ entsprechend – luftig. Rhapsodieähnlich die „Petite complainte“ von Frank Martin. Die Sonate von Francis Poulenc überraschte im Scherzo mit expressiven Passagen der Pianistin. Im mit „Déploration“ (Klage) bezeichneten dritten Satz kam der klangliche Ausdruck der Oboe ausgezeichnet zur Geltung.

Als unglaublich vitales Werk erwies sich Pavel Haas‘ Suite Nr. 17. „Furioso“ und „con fuoco“ lauten die Bezeichnungen der ersten beiden Sätze – und Imani und Podyomov gingen mit Verve daran, diese Vorgaben umzusetzen: eruptiv, anklagend, in ihrer Konsequenz mitreißend – ein aufwühlendes Stück. Zumal der Komponist kleine, aber wirkungsvolle Effekte einbaute: So erstarb ein nach einem kräftigen Anschlag durchdringend klingenden Klavierakkord Ton für Ton, einer nach dem anderen – Imina hielt nämlich die Tasten gedrückt, sodass die ungedämpften Saiten nacheinander ausschwangen.

Kennt man das Schicksal des Komponisten, der 1944 in Ausschwitz ermordet wurde, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, er habe schon zum Zeitpunkt der Komposition, 1939, dagegen aufbegehrt.

Mit einer Zugabe verabschiedeten sich die Musiker von ihrem beeindruckten Publikum.

(Quelle: Westfälische Nachrichten, Martin Bork, 20.08.2012)